War die Volksabstimmung zu "S21" fair?

22-11-2012 - Monitoring-Abschlussbericht von "Mehr Demokratie e.V."

Zweifelhafte Rolle der Bahn, unfaire Budgets - aber größter Mangel ist und bleibt das Abstimmungsquorum.

 

So sehr es auch zu begrüßen war, dass die Baden-WürttembergerInnen und Baden-Württemberger zum ersten Mal in einer Sachfrage an den Wahlurnen Politik gestalten durften, so ehrlich muss gesagt werden: Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 war kein Paradebeispiel der direkten Demokratie.

 

Der Landesverband Baden-Württemberg von Mehr Demokratie hat mehrfach die Umstände kritisiert, die zu ihrer Entstehung geführt haben: Oberbürgermeister Schusters Entscheidung, einem Bürgerbegehren zu Stuttgart 21 im Jahre 2007 keine Chance zu geben, war ein entscheidender Fehler. Damals wäre der angebrachte Zeitpunkt gewesen, die Position der BürgerInnen zu S21 einzuholen und dementsprechend zu handeln. Doch diese Chance wurde vertan. Und so ist es zweifelhaft, ob eine Abstimmung zu so einem späten Zeitpunkt noch ein unverzerrtes Abstimmungsergebnis hervorzubringen vermochte.

 

Doch nicht nur die Umstände, die zur Volksabstimmung führten, waren kritikwürdig, auch die Abstimmung selbst wurde in einem Monitoring-Bericht von Mehr Demokratie e.V. mit dem Gesamturteil „unfair“ bewertet. Insgesamt 4 Kategorien mit Unterpunkten wurden im Monitoring als „fair“, „unfair“ oder „teils/teils“ eingestuft:

 

I. Rechtliche Rahmenbedingungen und Zeitplan

II. Finanzierungsregeln und Budget

III. Informationsquellen für die Stimmberechtigten

IV. Akteure, Verhalten und Kampagne

 

Dazu haben wir Daten für den Zeitraum von zwei Wochen vorher bis zur Volksabstimmung ausgewertet. Ein erster Vorabbericht wurde im Dezember 2011 veröffentlicht. Nach weiteren Recherchen erscheint, zum einjährigen Jahrestag der Volksabstimmung Ende November, nun der Abschlussbericht. Darin bestätigt sich die vorangegangene Bewertung: Die Volksabstimmung wird mit "unfair" bewertet, obwohl mehrere Teilaspekte, wie die Durchführung der Abstimmung selbst, die Abstimmungsfrage, aber auch die in diesem Zeitraum ausgewerteten Informationsquellen als "fair" bezeichnet werden können.

 

Maßgeblich verantwortlich für die negative Gesamtwertung ist das Zustimmungsquorum von 1/3 der Wahlberechtigten. Hätten die S21-Gegner eine Mehrheit auf sich vereint und wären ausschließlich am Quorum gescheitert, hätte dies die Legitimität der Abstimmung in Zweifel gezogen und ihre befriedende Wirkung gefährdet. Zudem ist ein so hohes Quorum fast unüberwindbar, was an der nachvollziehbar niedrigeren Abstimmungsbeteiligung bei Volksabstimmungen im Vergleich zu Wahlen liegt. Es wirkt daher demotivierend und bewirkt in den meisten Fällen das Gegenteil des Gewollten: Es senkt die Wahlbeteiligung, anstatt sie zu befördern (mehr zur Wirkung und Argumenten rund um Abstimmungsquoren).

 

Durch vertiefte Recherchen sind im Abschlussbericht zwei Sachverhalte neu bewertet worden: Die Rolle der Bahn und die Frage nach fairen Kampagnenbudgets der Pro- und Contra-Initiativen. Die Bahn AG ist ein 100prozentiges Staatsunternehmen. Schon alleine deswegen ist es fraglich, ob es legitim ist, dass sie Ressourcen für die Bewerbung von S21 ausgegeben hat. Doch noch schwerer fällt ihre Informations- und teilweise Desinformationspolitik ins Gewicht: Es wurden keine detaillierten Angaben zur Kostenfrage veröffentlicht, Bahnchef Grube propagierte fälschlicherweise eine Abhängigkeit der Neubaustrecke Ulm-Wendlingen von S21 und beim Stresstest wurde das Kriterium „gute Betriebsqualität“ eigenmächtig zu „wirtschaftlich optimal“ herabgestuft. Ebenso wird die Budgetfrage nun mit „unfair“ bewertet: Die Befürworter von S21 verfügten nach Hochrechnungen über ein vier Mal so hohes Budget wie die Gegner. Ein gesetzlich festgeschriebenes Ausgabenlimit oder zumindest die Pflicht zur Offenlegung der Finanzquellen gibt es in Baden-Württemberg nicht.

 

Dazu kommen noch einige Fouls der öffentlichen Verwaltungen: Wenn öffentliche Steuergelder einseitig verwendet werden, Stichwort Anschreiben Schusters an alle Stuttgarter, kann von ausgeglichener Information nicht mehr die Rede sein.

 

Die Wahlbeteiligung bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 lag bei 48,3 Prozent und war damit die höchste Wahlbeteiligung bei einer Abstimmung zu einer Sachfrage, die nicht mit Wahlen zusammengelegt war. Das ist ein starkes Signal dafür, dass die Menschen mehr mitbestimmen wollen und bereit sind mehr Verantwortung zu übernehmen. Dazu brauchen wir faire Hürden für die direkte Demokratie, damit ihre Instrumente genutzt werden und die direkte Demokratie ihren Anteil zu einer lebendigen Demokratie beitragen kann. Doch auch ein Jahr nach der Volksabstimmung lassen die von der grün-roten Landesregierung angekündigten Reformen weiter auf sich warten.

 

In Zeiten der weltweiten Demokratiekrise sollte die Politik sich gut überlegen, ob sie weiterhin Bremsklotz sein will oder endlich den Mut aufbringt, die Mitbestimmung, die Beteiligung und das Engagement der BürgerInnen, wo es geht zu fördern. Die Stärkung der direkten Demokratie wäre ein wichtiger erster Schritt.