Offener Brief zu Stuttgart 21 an unsere Regierung und Abgeordneten

Stuttgart 21 - Ein Appell

An die baden-württembergische Landesregierung und

die Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und FDP/DVP

im baden-württembergischen Landtag

Stellvertretend an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, die Minister für Finanzen und Wirtschaft, Umwelt,

Verkehr und Infrastruktur, und die Abgeordneten der Wahlkreise 13 (Vaihingen), 14 (Bietigheim-Bissingen) und 44 (Enz)

In Kopie an den designierten Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Herren Minister, sehr geehrtes Mitglied des Landtages!

Vor nunmehr 25 Jahren gab es von Prof. Gerhard Heimerl den ersten Vorschlag zu einer unterirdischen Querung des Stuttgarter Talkessels mit einer Anbindung an eine neu zu bauende, autobahnnahe Eisenbahnstrecke nach Ulm. Dies führte nach Untersuchung etlicher möglicher Varianten 1994 zur Vorstellung eines Konzeptes, das den kompletten Ersatz des bestehenden Kopfbahnhofes durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof vorsah, ein Projekt, das mittlerweile als Stuttgart 21 bekannt ist. Danach begann die DB mit der konkreten Planung dieses Projekts. Seit Februar 2010 ist Stuttgart 21 nun offiziell im Bau.


Betrachtet man die 6-jährige Grobplanungs- und Entscheidungsphase 1988 bis 1994, die 16-jährige Detailplanung 1994 bis 2010 sowie die nunmehr fast 3 Jahre währende Bauzeit von Stuttgart 21, so kann man nur zu folgendem Schluss kommen:

In praktisch allen wesentlichen Aspekten hat die Deutsche Bahn die Entscheidungsträger in Bund, Land und Stadt Stuttgart im Unklaren gelassen. Weder die tatsächlichen Kosten, noch die tatsächliche Leistung, noch der tatsächliche Terminplan entspricht dem, was die Bahn in den langen Jahren der Planung immer wieder versprochen hat. Vielmehr war zu beobachten, wie die Bahn im Lauf der Zeit immer wieder Korrekturen vornehmen musste und sich in all diesen Punkten immer weiter den Zahlen annäherte, die sowohl von Gegnern des Projekts als auch von unabhängigen Fachleuten genannt wurden.

Kurzum: Die Zeit und die Fakten geben nicht der Bahn recht, sondern ihren Kritikern.

Von der Bahn wurde eine Verbesserung der Infrastruktur und Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart versprochen. Hierfür ist ausschließlich die Deutsche Bahn zum einen als Betreiber des Stuttgarter Bahnhofs und der Eisenbahnnetze und zum anderen als Auftragnehmer und das Projekt umsetzender Partner verantwortlich.
Auf ihre Aussagen, Schätzungen und Planungen müssen sich die darüber entscheidenden Volksvertreter verlassen können. Auf die Aussagen der Deutschen Bahn mussten sich auch die Wähler in Baden-Württemberg in der Volksabstimmung vom November 2011 verlassen, in der - basierend auf den von der Bahn genannten Daten - ein Ausstieg des Landes aus der Finanzierung bis zum damals vereinbarten Kostenrahmen abgelehnt wurde.

All dies ist mittlerweile Makulatur. Neben einer 400 Quadratmeter großen Bodenplatte am ehemaligen Nordausgang des Bahnhofs gibt es nach 3 Jahren „Bauzeit“ nichts, was die Bahn vorweisen kann, außer der Zerstörung von Bau- und Naturdenkmälern historischen Rangs, Verstößen gegen Natur- und Artenschutz, Demontage des Bahn- und S-Bahn-verkehrs im Großraum Stuttgart, Gefährdung der Bahnkunden und einer Kette von Pleiten, Pech und Pannen, all dies bei ständig steigenden Kosten und sinkender vorausgesagter Leistungsfähigkeit.

 

Offensichtlich war und ist das Management der Deutschen Bahn nicht willens oder nicht in der Lage, den Tatsachen ins Auge zu schauen und das Projekt aus eigenem Antrieb zu beenden. Selbst ein Vorstoß damaligen Projektleiters Hany Azer im Jahr 2011, eine Liste mit 121 Risiken, die nun nach und nach eintreten, führten nicht zu einer Neuorientierung oder wenigstens Neubewertung, sondern zu Azers Versetzung.

 

Werden Sie Ihrer Verantwortung vor Ihren Wählern, vor der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und vor Ihrem Gewissen gerecht.
Lassen Sie es nicht länger zu, dass die Deutsche Bahn weiter ein Projekt vorantreibt, das heute aufgrund seiner negativen Wirtschaftlichkeit gar nicht mehr begonnen würde. Bei einem weiteren Festhalten am Projekt werden Steuergelder in unkalkulierbarer Höhe verschleudert und dabei das Herz der Landeshauptstadt zerstört. Verantwortungsbewusstsein und Vernunft gebieten es, Stuttgart 21 jetzt zu beenden.

Da klar ist, dass keiner der beteiligten Partner die bereits heute von der Bahn zugegebenen Mehrkosten zu tragen bereit ist, muss die Landesregierung einen tragen unverzüglichen Baustopp durchsetzen. Insbesondere dürfen die Arbeiten im Rosensteinpark nicht fortgeführt und keine weiteren Bäume gefällt werden. Der Gestattungsvertrag hierzu darf nicht unterschrieben werden!
Es ist für uns Bürger unerträglich, zusehen zu müssen, wie Bahn, Land, die Region und die Stadt Stuttgart auf ein finanzielles und verkehrspolitisches Fiasko zusteuern, nur weil niemand der Beteiligten den Mut und die Größe hat, das Offensichtliche auszusprechen, auf die anderen Projektpartner zuzugehen, und das Projekt zu beenden. Von unseren gewählten Vertretern erwarten wir mehr!

Daher richten wir an Sie und Ihre Kollegen folgenden Appell:

  • Es ist an der Zeit, Stuttgart 21 im Einvernehmen aller Partner sofort zu beenden.
  • Es ist an der Zeit, den Kopfbahnhof sofort in einer Art Erhaltungssanierung wenigstens wieder auf den Stand vor Beginn der Bauarbeiten von Stuttgart 21 zu bringen, damit die Reisenden in Stuttgart wieder sicher und pünktlich ankommen und abreisen können.
  • Es ist an der Zeit, gemeinsam die Planung aufzunehmen, wie der Kopfbahnhof in Zukunft renoviert und modernisiert seinen Dienst leistungsfähiger versehen kann, als es Stuttgart 21 je gekonnt hätte.
  • Es ist an der Zeit, dass bei der Bahn wieder die Bahnfachleute das sagen haben.
  • Es ist an der Zeit, das Herz Stuttgarts, den mittleren Schlossgarten, vom Schutt des Projekts zu befreien und so wiederherzustellen, dass bald wieder ein Park entsteht, der wenigstens ahnen lässt, was dort einst war.
  • Es ist an der Zeit, sich die Hände zu reichen, nach vorne zu schauen, und all dies zu tun. 

Jetzt ist die Zeit, Entscheidungen von gestern zu überdenken und für morgen zu handeln! Dazu fordern wir Sie auf!

Der Brief zum Herunterladen:
2012-1227DIVaNS21OffenerBrief.pdf
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Pressemitteilung zum Offenen Brief
2012-12-27DIVaNPMzuoffenemBrief.pdf
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